Mittwoch, 18. Juni 2014

Martin Pozivil, Kantonsschullehrer, Heerbrugg, 60 Jahre



Seit der Eröffnung der Kantonsschule Heerbrugg 1975 ist er als Chemie- und Physiklehrer tätig. Die Allgemeinbildung ist ihm ein besonderes Anliegen.
Vor 25 Jahren begann mit dem Fall des Eisernen Vorhangs die Zusammenarbeit des Kantons mit dem Gymnasium Liberec in Tschechien, wobei Martin Pozivil noch heute der Heerbrugger Hauptakteur der Schüler-Austauschwochen ist.
Mit den Austauschen ermöglicht die Kantonsschule ihren Schülerinnen und Schülern Erfahrungen, welche ihnen sonst fehlen würden. Gegenseitige Offenheit und die Relativierung von Klischees sind neben dem gestärkten Klassenzusammenhalt die Haupteffekte davon. Qualitäten, welche zentral sind in der gemeinsamen Problemlösung.

„Ich persönlich habe als Neuankömmling im Rheintal nur die besten Erfahrungen gemacht. Abgesehen von einigen Unwissenheiten ist man mir eher mit Sympathie begegnet. Wichtig ist, dass man selber auch einen Beitrag leistet. Man muss selber auf die Menschen zugehen. Ich bin schnell im Kirchenchor Heerbrugg gewesen und durch diese Vereinszugehörigkeit habe ich rasch Kontakte geknüpft. Es ist immer ein Geben und ein Nehmen.“

„Die jungen Menschen sind im Wesentlichen die gleichen geblieben, was ihre Charak-terzüge, ihre Probleme und Fragestellungen angeht. Geändert haben sich auch bei ihnen die vielen multimedialen Einflüsse der virtuellen Welten. Das führt dazu, dass es für die jungen Leute immer schwieriger wird zuzuhören und konzentriert bei einer Idee zu bleiben statt von Thema zu Thema, von Fragment zu Fragment zu springen. Ihr Leben wird schnell- und kurzlebiger, man nimmt sich nicht mehr soviel Zeit wie früher. Das erfordert von der Lehrperson einen erhöhten inneren Kraftaufwand.“

„Die zunehmende Bürokratisierung im Allgemeinen führt dazu, dass weniger mit-einander geredet, gleich zur nächst höheren Instanz gegangen und bei Problemen gleich mit dem Anwalt gedroht wird. Immer mehr Papier, immer mehr Einflüsse aus der Administration und der Jurisprudenz sind weitere spürbare Veränderungen. Wir leben hier mit immer mehr Rekursen und Einsprachen. Heute ist viel mehr regle-mentiert als früher, als Vorsichtsmassnahme. Das dämpft den Elan bei den Vorbe-reitungen ein bisschen.“

„Für mich ist es wichtig, dass man offen über die Dinge spricht, man Anstandsregeln übt und darin Vorbild ist. Das sind für das spätere Leben wichtige Eigenschaften. Gerade heute sollte man in der Lage sein mit der Informationsvielfalt umzugehen, Informationen zu recherchieren und zu werten. Das gehört zu einer guten Allgemein-bildung dazu.“

„Die Austausche mit Tschechien begannen mit einer Hilfsaktion 1989. Zwei Lehrer und deren Schüler der Kantonsschule St. Gallen sammelten alte Schreibmaschinen für den Unterricht in Liberec, da es dort an einigem Material mangelte. Danach fand man, das müsse irgendwie weiter gehen. Somit wurde die Kooperation St. Gallen / Liberec gegründet, eine private Gruppierung, welche mich schliesslich per Rektor anfragen liess, ob ich mitmachen wolle.“

„Mit einer Ausnahme fanden die Schüleraustausche jedes Jahr statt. Die Schüler-schaft erhielt immer wieder Einblicke in den Alltag anderer Länder und Regionen, welche man sonst nie besuchen würde, indem sie bei den Gastgeberfamilien wohn-ten. Immer wieder konnten Beziehungen geknüpft werden, welche noch lange haften bleiben. Ehemalige sprechen mich immer recht schnell auf diese Austausche an. Für sie waren es intensive Erlebnisse, ein Highlight der Kantizeit.“

„Bei solchen Austauschen erfährt man nicht nur über die anderen, sondern auch über sich selber. Man nimmt Europa, die Schweiz, anders wahr, als man sich das gemein-hin so vorstellt, als einem die Medien vermitteln. Europa wird als Kulturraum erfahren, als Menschen mit ihren Gepflogenheiten. Durch die Austausche gibt’s eine nachhal-tige Korrektur des Europabildes.“

„Wenn man etwas selbst erlebt hat, kann man einem nicht irgendetwas andrehen. Liest man dann etwas über diese Länder, wird kritisch verglichen. Die Fähigkeit abzu-wägen ist natürlich schon sehr wichtig.“

„Bei Sonderprogrammen wie den Austauschen werden die Klassenverbände gefes-tigt. Solche Gruppen sind eher bereit über Probleme zu diskutieren. Sie werden kommunikativer und offener für andere Stellungnahmen, toleranter auch gegenüber anderen Meinungen. Durch diese öffnende Erfahrung wird in der Schule, in den Familien und unter den Freunden die Diskussionskultur verbessert.“

„Ich versuche den Schülern ein gewisses Umweltbewusstsein, oder allgemein ein kritischeres Bewusstsein zu vermitteln.  In den ehemaligen Ostblockländern gibt es genug Narben in der Natur, welche eine nachhaltige Nutzung nahe legen. Die Aus-tausche ermöglichen mir als Physiker, praktische Auswirkungen politischer Energie-entscheide zu erleben. Statt einseitig auf einen alternativen Energieträger umzu-steigen, ist ein Mix davon anzustreben. Für eine Weile noch können wir jedoch nicht auf Kernkraft verzichten."

„Neue Technologien und Materialien ermöglichen einen sparsameren Umgang mit möglichst regionaler Energie wie Wasser- und Holznutzung. Auch Technologiever-besserungen wie Wirkungsgrade machen eine Region autarker. Man muss etwas über die Bücher, ob man wirklich alles braucht, oder ob ein bisschen mehr Beschei-denheit nicht mehr Lebensqualität bedeutete. Ich selber versuche bei jeder Gelegen-heit auf das Auto zu verzichten.“